Kernaussage: Passe die Arbeit dem Menschen an und jeden Menschen an seine Arbeit.
Die Ziele der Gesundheit am Arbeitsplatz wurden 1950 von der ILO (International Labour Organisation) und der WHO (Weltgesundheitsorganisation) definiert und 1995 vom gemeinsamen Ausschuss für Gesundheit am Arbeitsplatz von ILO und WHO wie folgt aktualisiert:
"Der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz [occupational health] sollte darauf abzielen, ein Höchstmaß an körperlichem, geistigem und sozialem Wohlbefinden der Arbeitnehmer in allen Berufen zu fördern und zu erhalten; bei den Arbeitnehmern gesundheitliche Beeinträchtigungen zu verhindern, die durch ihre Arbeitsbedingungen verursacht werden; die Arbeitnehmer an ihrem Arbeitsplatz vor Gefahren zu schützen, die sich aus gesundheitsschädlichen Faktoren ergeben; den Arbeitnehmer in eine seinen physiologischen und psychologischen Fähigkeiten angepasste Arbeitsumgebung zu versetzen und diese aufrechtzuerhalten und - kurz gesagt - die Arbeit an den Menschen und den Menschen an seinen Arbeitsplatz anzupassen." (www.icohweb.org/site/multimedia/code_of_ethics/code-of-ethics-en.pdf, 13.06.24, S.14)
Die WHO nennt die vier Kategorien: Physisches Arbeitsumfeld - Psychosoziales Arbeitsumfeld - Persönliche Gesundheitsressourcen - Einbindung in die Gemeinschaft. (https://iris.who.int/bitstream/handle/10665/44307/9789241599313_eng.pdf?sequence=1, 13.06.24, S. 13)
Es gibt mehrere Modelle der Arbeitsschutzes:
Von diesen Modellen leite ich meine Darstellung des Belastungs-Beanspruchung-Modell ab (Rohmert, W., & Rutenfranz, J. (1975). Arbeitswissenschaftliche Beurteilung der Belastung und Beanspruchung an unterschiedlichen industriellen Arbeitsplätzen. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung):
"Das von Rohmert und Rutenfranz bereits 1975 beschriebene Belastungs-Beanspruchung-Modell verfolgt den Ansatz, dass eine große Anzahl äußerer Reize [Einflüsse, Faktoren] auf den Menschen einwirkt und je nach den individuellen Ressourcen zu kurz- oder langfristigen Beanspruchungsfolgen [Auswirkungen auf den Menschen] führt. ... In diesem Zusammenhang kommt es auf die Qualität sowie die Intensität und Dauer der Belastung sowie die individuellen Persönlichkeitsmerkmale des Menschen sowie seiner Bewältigungsfähigkeiten und körperlichen Konstitution an." (Rusch, S. (2019). Stressmanagement. Springer, S. 33)
Rohmert und Rutenfranz hatten die Belastungen als "objektiv" definiert, also als unabhängig von der betroffenen Person. Aber auch die Belastung hängt davon ab, wie eine Person eine Aufgabe ausführt.
"Von Einzelpersonen wird häufig erwartet, dass sie komplexe Aufgaben ausführen, die körperliche und geistige Anforderungen mit sich bringen ... Die Arbeitsbelastung wird durch die Wechselwirkung zwischen den Anforderungen der Aufgabe, den Umständen, unter denen sie ausgeführt wird, und den Fähigkeiten, Verhaltensweisen und Wahrnehmungen des Einzelnen bestimmt. ... Die Bewertung der Arbeitsbelastung ist ein wichtiger Bestandteil der Systemgestaltung und -analyse." (DiDomenico A, Nussbaum MA (2008) Interactive effects of physical and mental workload on subjective workload assessment. Int J Ind Ergonom 38, p. 977)
Eine Arbeitsbelastung ist eine Gefährdung, wenn sie eine bestimmte Grenze überschreitet. Wird ein Mensch einer Gefährdung ausgesetzt, besteht das Risiko einer Schädigung. Eine gesundheitliche Schädigung ist eine nachteilige (negative) Auswirkung auf die Gesundheit eines Menschen (eine gesundheitliche Beeinträchtigung).
"Eine Gefährdung ist jede Quelle potenzieller Schäden,
Beeinträchtigungen oder negativer Auswirkungen auf die Gesundheit von etwas oder jemandem. ...
Ein Risiko ist die Chance oder Wahrscheinlichkeit, dass eine Person geschädigt wird oder eine Gesundheitsbeeinträchtigung erfährt, wenn sie einer Gefahr ausgesetzt ist. ...
Eine gängige Methode zur Klassifizierung von Gefahren ist die Einteilung in Kategorien:
biologisch – Bakterien, Viren, Insekten, Pflanzen, Vögel, Tiere und Menschen usw.,
chemisch – hängt von den physikalischen, chemischen und toxischen Eigenschaften
der Chemikalie ab,
ergonomisch - sich wiederholende Bewegungen, unsachgemäße Einrichtung des
Arbeitsplatzes, usw,
physikalisch - Strahlung, Magnetfelder, extreme Druckverhältnisse (Hochdruck oder Vakuum), Lärm usw,
psychosozial - Stress, Gewalt, usw,
Sicherheit - Gefahren durch Ausrutschen/Stolpern, unzureichende Schutzvorrichtungen an Maschinen, Fehlfunktionen oder Ausfälle von Geräten." (www.ccohs.ca/oshanswers/hsprograms/hazard_risk.html, 01.05.21)
So komme ich zu der Darstellung meines "Hazard-Risk-Harm-Modell" (ein Pfeil zeigt den Einfluss an, den das Verhalten des Menschen auf die Arbeitsbedingungen hat):
Eine Gefahrenquelle ist die Quelle eines möglichen Schadens. Eine Gefährdung ist eine Situation, in der die Möglichkeit/das Risiko des Eintritts eines Gesundheitsschadens besteht. Die Gefährdung entsteht durch ein mögliches räumliches und/oder zeitliches Zusammentreffen einer Gefahrenquelle mit einem Menschen, bei dem daraufhin eine schädigende Wirkung eintreten kann.
"Eine Gefahrenquelle ist ein andauernd vorhandener Zustand, der entsprechend seiner Eigenschaften, Mengen, Operationen unter bestimmten Bedingungen zur Quelle eines möglichen Schadens werden kann. ... Es ist wichtig festzuhalten, dass als Gefahrenquelle ein Zustand bezeichnet wird, der logisch und zeitlich vor dem räumlich-zeitlichen Zusammentreffen mit dem Menschen liegt ..." (www.bgbau-medien.de/handlungshilfen_gb/daten/ga_bau/risiko/glossar.htm, 30.06.24)
Kein Risiko darf übersehen werden. Daher müssen sowohl die normalen als auch die nicht normalen "ungünstigen Arbeitsbedingungen" (wenn Zufälle zusammenspielen) untersucht werden. Es ist sehr schwierig, außergewöhnliche Arbeitsbedingungen vorherzusehen, die "ungünstig" sind.
Um Risiken zu verringern und Schäden zu vermeiden, ist es notwendig, eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen.
"Bei der Gefährdungsbeurteilung handelt es sich um den Prozess, bei dem Sie:
Eine Gefährdungsbeurteilung ist eine gründliche Untersuchung Ihres Arbeitsplatzes, um die Dinge, Situationen, Prozesse usw. zu ermitteln, die Schaden verursachen können, insbesondere für Menschen. Nach der Identifizierung analysieren und bewerten Sie, die Wahrscheinlichkeit und Schwere des Risikos. Nach dieser Feststellung können Sie entscheiden, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten, um den Schaden wirksam zu beseitigen oder zu kontrollieren." (www.ccohs.ca/oshanswers/hsprograms/hazard/risk_assessment.html, 30.06.24)
Ich benutze dieses Formular für eine Gefährdungsbeurteilung:
Eine "Gefährdungsbeurteilung ist für ein abgegrenztes Arbeitssystem vorzunehmen und soll alle Gruppen von Gefährdungsfaktoren (physikalische, chemische, biologische, physische, psychische) einbeziehen.
Gefährdungsfaktoren stellen ein Ordnungssystem dar, um Gefährdungen zu klassifizieren ... Die Faktoren geben an, worin die möglichen Gefährdungen bestehen, die von der Gefahrenquelle ausgehen können ... In einer Gefahrenquelle eines Arbeitssystems können mehrere Gefährdungsfaktoren wirken." (www.bgbau-medien.de/handlungshilfen_gb/daten/ga_bau/risiko/glossar.htm, 30.06.24)
Um zu wissen, welche bei welchen Gefahrenquellen das Risiko hoch ist , müssen eine Risikoabschätzung (Risikoanalyse) und eine Risikobewertung vorgenommen werden. Bei einer Risikoabschätzung wird die Frage beantwortet: "Wie wahrscheinlich ist es, dass es zu einer Gesundheitsschädigung kommt, und wie schwerwiegend wird diese Schädigung sein?"
Wurde das Risiko abgeschätzt wurde, dann muss es bewertet werden: "Ist das Risiko akzeptabel oder nicht?" Die Bewertung eines Risikos erfolgt durch einen Vergleich der ermittelten Ist-Werte mit ausdrücklich festgelegten und begründeten Grenzwerten. Diese Grenzwerte, das Grenzrisiko, können aus Gesetzen, Verordnungen oder Empfehlungen abgeleitet werden oder vom Arbeitgeber festgelegt (und begründet) werden.
Wenn das Grenzrisiko überschritten wird, müssen unbedingt Maßnahmen zur Risikoverminderung ergriffen werden, um möglichst weit unter das Grenzrisiko zu kommen. Es ist aber unmöglich einen Zustand zu erreichen, in dem jedes Risiko ausgeschlossen ist. Ein Restrisiko bleibt immer bestehen.
Hinweise auf risikobehaftete Arbeitsbereiche und Tätigkeiten sind z. B.
Die "Maßnahmen-Hierarchie" zeigt, welche Maßnahmen am wirksamsten sind (1 ist am wirksamsten):
Unfälle sollten nicht entstehen, wenn alles normal verläuft. Unfälle und Berufskrankheiten entstehen meistens, wenn bei einem Kontakt des Menschen mit der Gefahrenquelle zusätzlich mehrere "Begünstigende Bedingungen" (ungünstige Arbeitsbedingungen s. o.) zusammentreffen.
Begünstigende Bedingungen sind technische oder organisatorische Störungen, momentane individuelle physische oder psychische Leistungsminderungen oder zufällige Konstellationen. Sie erhöhen das
Risiko für den Eintritt eines Gesundheitsschadens. Es ist jedoch schwierig, sie vorherzusehen.
"Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten sind weder schicksalhaft noch unvermeidlich – sie haben immer Ursachen. Durch die Schaffung einer wirksamen Präventionskultur können diese Ursachen beseitigt und Arbeitsunfälle, Verletzungen und Berufskrankheiten verhindert werden." (https://medien.bgetem.de/medienportal/artikel/SVZTUzAzMy1E/@@download/download, 07.07.24, S. 3)
Viele Unfälle passieren, weil sich Menschen in gefährlichen Situationen falsch verhalten. Eine Analyse von 228 tödlichen Arbeitsunfällen in der deutschen chemischen Industrie für den Zeitraum 2004 - 2015 ergab Folgendes:
Waren der Unfall, der zum Tod führte, und die damit verbundenen Risiken gut vorhersehbar?
für die verletzte Person:
66,2% ja oder eher ja
für die Führungskraft/den Unternehmer: 54,8 % ja bzw. eher ja
Hatte die tödlich verletzte Person einen direkten Einfluss auf das Unfallgeschehen?
ja: 74,6%
nein: 18,4%
keine Antwort möglich: 7%
(Quelle: https://www.bgrci.de/fileadmin/BGRCI/Downloads/BG_RCI_Magazin/BG-RCI_Magazin_2017/BG_RCI_magazin_web_15.5.17.pdf, 09.07.21, S. 5)
"Eine Ihrer wichtigsten Führungsaufgaben ist es, Ihre Beschäftigten zu moti-
vieren – auch zu sicherem und gesundem Verhalten. ... Werden Beschäftigte einbezogen, z.B. bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung oder der Erarbeitung von Betriebsanweisungen, steigt die
Bereitschaft, die Regeln einzuhalten. ... Es kostet kein Geld, sicheres Verhalten direkt zu loben, Ihre Beschäftigten nach ihren Ideen zu fragen, Interesse bei schwierigen Arbeitsaufgaben zu
zeigen und unsichere Handlungen sofort anzusprechen. So prägen Sie die persönliche Einstellung der Beschäftigten und motivieren sie zu bewusster und sicherer Arbeit." (https://medien.bgetem.de/medienportal/artikel/SVZTUzAzMy1E/@@download/download, 07.07.24, S. 18)
Die Einstellung und Motivation der Menschen hängen ab von ihrer Persönlichkeit und ihren Fähigkeiten, sowie von ihrem Wissen, ihren Erfahrungen und ihren Gefühlen (siehe das Einstellung-Verhalten-Erfolg-Modell auf Learn-Study-Work, auf Englisch).
Lesen Sie auf Learn-Study-Work auch: "Was ist Gesundheit", "Was ist ein gesunder Lebensstil", "Wie Probleme lösen", "Probleme erkennen", "Situationen/Systeme analysieren", "Ziele setzen", "Kreativ werden", "Was ist Respekt?", "Wie auf respektoses Verhalten reagieren?, "Wie lernen", "Wie studieren", "Einen guten verständlichen Text schreiben", die "Gliederung" und "Einleitung" einer Bachelor- oder Masterarbeit, "Was ist Wissenschaft"