Kernaussage: Um Probleme erkennen zu können, benötigen wir einen "Sinn für Möglichkeiten".
Die heutige Welt wird immer komplexer. Es gibt eine Vielzahl von
verschiedenen Entwicklungen, die sich gegenseitig beeinflussen.
Auch das
Verständnis für diese Komplexität wird größer. Nur wer systematisch denkt, kann die neuen Chancen und Bedrohungen erkennen und sieht in ihnen Probleme, die gelöst werden
müssen.
Ein Problem besteht, wenn eine Person mit einer aktuellen Situation nicht zufrieden ist, aber nicht weiß, wie sie eine gewünschte Zielsituation erreichen kann (siehe auf Learn-Study-Work "Wie Probleme lösen").
"Probleme im Sinne das SE [Systems Engineering] äußern sich vorwiegend in einem Unbehagen, einer mehr oder weniger fundierten Kritik an einer unbefriedigenden Situaiton, in der Darstellung einer möglichen Chance oder einer drohenden Gefahr und den damit verbundenen Fragen. ... Die Problemstellung kann dabei schon relativ konkret formuliert sein, oder aber lediglich aus vagen Vermutungen über Probleme und deren Ursachen bestehen." (Daenzer, W. F. (1976) Systems Engineering: Leitfaden zur methodischen Durchführung umfangreicher Planungsvorhaben. Peter Hanstein Verlag, Köln, S. 41)
Wenn eine Situation unbefriedigend ist, dann ist dies ein Anhaltspunkt, um nach dem Problem zu suchen, das diese Unzufriedenheit verursacht. Aber auch wenn eine Situation zufriedenstellend ist, kann sie möglicherweise verbessert werden oder sie kann sich ins Negative verändern. Wir müssen in die Zukunft zu sehen: Womit wir heute noch zufrieden sind, kann morgen schon unbefriedigend sein.
"Ein Sinn für Möglichkeiten ... stellt sich etwas vor, das möglich sein könnte, aber bisher nicht für möglich oder auch nur potentiell möglich gehalten wurde. (... das Gefühl für Möglichkeiten wird oft synonym mit der Vorstellungskraft verwendet, obwohl die Vorstellungskraft nicht dasselbe ist wie das Sinn für Möglichkeiten, denn die Vorstellungskraft umfasst auch das Unmögliche)." (Dörner, D., & Funke, J. (2017). Complex problem solving: What it is and what it is not. Frontiers in Psychology, 8,1153, S. 7)
Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, die in der Zukunft wahr werden können. Aber wir können uns nicht alle Möglichkeiten vorstellen und durchdenken, weil das zu viel Aufwand bedeuten würde. Deshalb müssen wir uns zuerst über die beiden Extreme klar werden: Was wäre der günstigste Fall und was der ungünstigte, der eintreten könnte.
"Kluge Mathematiker schämen sich nicht, klein zu denken, denn allgemeine Muster [Regeln] sind leichter zu erkennen, wenn die Extremfälle gut verstanden werden (selbst wenn sie trivial sind). (Graham, R. L., Knuth, D. E., Patashnik, O. (1884). Concrete Mathematics: A Foundation for Computer Science. Addison-Wesley, S.2)
Es macht aber auch keinen Sinn, sich Extreme vorzustellen, die wirklichkeitsfremd sind, d. h. die nur eine verschwindend kleine Wahrscheinlichkeit haben, dass sie wahr werden.
"Ein Möglichkeitssinn strebt nicht nach dem Mond, sondern stellt sich etwas vor, das möglich sein könnte, aber bisher nicht als möglich oder auch nur potenziell möglich angesehen wurde. ... Wir müssen ständig zwischen unserem Möglichkeitssinn und unserem Wirklichkeitssinn hin- und herwechseln ..." (Dörner, D., & Funke, J. (2017). Complex problem solving: What it is and what it is not. Frontiers in Psychology, 8,1153, S. 7)
Eine SWOT-Analyse untersucht die Stärken (Strenghts) und Schwächen (Weaknesses), die für eine Organisation (ein System) gelten, sowie Chancen (Opportunities) und Risiken (Threats), die in der Umwelt für die Organisation bestehen. Stärken und Schwächen sind interne Faktoren, die beinflusst werden können, während Chancen und Risiken externe Faktoren, die nicht kontrolliert werden können.
"Bei der internen Bewertung werden alle Aspekte der Organisation untersucht, wie z. B. Personal, Einrichtungen, Standort, Produkte und Dienstleistungen, um die Stärken und Schwächen der
Organisation zu identifizieren ... Die externe
Bewertung scannt das politische, wirtschaftliche, soziale, technologische und wettbewerbliche Umfeld mit dem Ziel, Chancen und Risiken zu ermitteln." (https://citeseerx.ist.psu.edu/document?repid=rep1&type=pdf&doi=eea3c0b07423dc95d202cd46507a291e03f718cf,
18.02.23, S. 632)
Eine SWOT-Analyse hat Vor- und Nachteile:
"Die SWOT-Analyse wird für ihre Einfachheit gelobt ... In der Praxis kann sie jedoch keine effizienten Ergebnisse liefern und manchmal zu einer falschen Unternehmensentscheidung führen (Wilson
& Gilligan, 2005; Coman & Ronen, 2009). Dies liegt daran, dass der traditionelle Ansatz der SWOT-Analyse auf einer qualitativen Analyse beruht, bei der die SWOT-Faktoren wahrscheinlich
die subjektive Ansichten von Managern oder die Beurteilungen von Planern beinhalten. Außerdem, werden die SWOT-Faktoren ... nicht nach ihrer Bedeutung für die Leistung einer Organisation in eine
Rangliste gebracht."
(https://eprints.soton.ac.uk/394441/2/elsarticle-template.pdf, 18.02.23, S. 2)
Es wäre überraschend, wenn es möglich wäre komplexe Situationen (= Systeme) mit einer einfachen Methoden zu analysieren. Eine Situation ist ein System zu einem bestimmten Zeitpunkt. Was sind die Eigenschaften eines komplexen Systems?
"Laut Funke (2012) sind die typischen Merkmale von komplexen Systeme
(a) die Komplexität der Problemsituation, die in der Regel durch die große Anzahl der beteiligten Variablen repräsentiert wird;
(b) die Konnektivität und gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen den beteiligten Variablen;
(c) die Dynamik der Situation, die die Rolle von Zeit und Veränderung innerhalb eines Systems widerspiegelt;
(d) die Intransparenz (teilweise teilweise oder vollständig) bezüglich der beteiligten Variablen und ihrer aktuellen Werte; und
(e) die Polytologie (griechischer Begriff für "viele Ziele"), die Zielkonflikte auf verschiedenen Analyseebenen."
(Dörner, D., & Funke, J. (2017). Complex problem solving: What it is and what it is not. Frontiers in Psychology, 8,1153, S. 2)
Ein Liste mit möglichen SWOT-Faktoren aufzustellen ist einfach, aber ihre Wirkungen und
Eintrittswahrscheinlichkeiten abzuschätzen ist schwierig, besonders wenn es auch noch um zukünftige Entwicklungen geht. Doch genau dies wäre notwendig, wenn man die Faktoren in eine Rangliste
einordnen und die Extreme bestimmen will. Ob man mit einer SWOT-Analyse alle wichtigen Probleme erkennen kann, hängt also von der Art und Weise ab, wie man sie
durchführt.
"Von den 50 untersuchten Unternehmen ... verwendeten über 20 Unternehmen eine SWOT-Analyse, an der 14 Beratungsunternehmen beteiligt waren. Alle Anwendungen wiesen ähnliche Merkmale auf - lange Listen (im Durchschnitt über 40 Faktoren), allgemeine (oft nichtssagende) Beschreibungen, fehlende Priorisierung und kein Versuch, irgendwelche Punkte zu überprüfen. Das besorgniserregendste allgemeine Merkmal war jedoch, dass niemand die Ergebnisse in den späteren Phasen des Strategieprozesses nutzte." (Hill, T., & Westbrook, R. (1997). SWOT analysis: it's time for a product recall. Long range planning, 30(1), S. 46)
Ein komplexes System, wie z. B. ein größeres Unternehmen, vollständig zu analysieren, ist sehr arbeitsaufwendig und dauert lange. Es ist einfacher sich nur auf bestimmte Aspekte des komplexen
Systems zu konzentrieren. Deshalb wollen wir ja die Extreme finden, die das System einnehmen kann.
"Eines unserer Beispiele betraf ein Lebensmittelunternehmen mit einem dominanten Kunden (X), der mehr als 50 % der Produktion des Unternehmens abnimmt. In der SWOT-Analyse des Unternehmens wird als Stärke "der Wert unseres Vertrags mit X" genannt, während zu den Schwächen "die übermäßige Abhängigkeit von Unternehmen X" gehört. Wenn hier ein und derselbe Punkt als Stärke und als Schwäche angeführt wird, könnte der Widerspruch an sich ein Ansporn für analytische Maßnahmen sein. ... Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit eine übermäßige Abhängigkeit Schaden anrichtet, und welche Maßnahmen können dies verhindern? ... Oder welche Maßnahmen könnten die Nähe zum Kunden erhöhen, um sicherzustellen, dass dieser Faktor eine wichtigere Stärke wird?" (Hill, T., & Westbrook, R. (1997). SWOT analysis: it's time for a product recall. Long range planning, 30(1), S. 51)
Es muss sich nicht um einen Widerspruch handeln. Wenn das Lebensmittelunternehmen diesen Kunden verlieren würde, wäre das extrem negativ. Es wäre aber auch möglich, dass der Kunde noch viel mehr Waren abnimmt, was extrem positiv wäre. Wenn diese beiden Extreme erkannt wurden, dann ist es wichtig genau zu analysieren, wie das negative Extrem verhindert und das positive Extrem verwirklicht werden kann.
Ein komplexes System wird also erst einmal als Blackbox betrachtet und es wird nur nach drei bis vier negativen und drei bis vier positiven Extremen gefragt, die sich ergeben könnten. Es ist wichtig mehrere Extreme zu betrachten, denn die Zukunft kann nicht sicher vorausgesagt werden. Wir benötigen einen "Sinn für Möglichkeiten". Diese Extreme werden dann genau analysiert: Welche Faktoren können wie zusammenwirken, damit sie wahr werden? (siehe auf Learn-Study-Work "Wie Situationen = Systeme analysieren").
Bei der Analyse der Extreme wird man auch Maßnahmen erkennen, die zwar keine extreme Auswirkungen haben, aber trotzdem empfehlenswert sind, weil sie das System verbessern.
Gehen Sie zu den weiteren Schritten des Problemlösungsprozesses:
"Wie Probleme lösen", "Situationen/Systeme analysieren", "Ziele setzen", "Kreativ werden"
Lesen Sie auf Learn-Study-Work: "Wie lernen", "Aktives Lernen", "Was ist Gesundheit", "Was ist ein gesunder Lebensstil", "Was ist Wissenschaft", "Einen guten Text schreiben", "Was ist Literatur", die "Gliederung" und "Einleitung" einer Bachelor- oder Masterarbeit
Read on Learn-Study-Work:
"How to define words", "How to solve problems", "What is Science", "What is Health", "How to write a text", "How to analyze situations = systems", "How to be creative"
en français: "Qu'est-ce que le respect ?", "Comment réagir à un comportement irrespectueux ?", "Comment écrire un texte ?"
en español: "¿Qué es el respeto?", "¿Como responder a la falta de respeto?"
in italiano: "Cos'è il rispetto?"
हिंदी भाषा में: "आदर क्या है ?", "अनादर का जवाब कैसे दें ?"
बंगाली बंगाली में: "সম্মান কি ?"