Intelligenz und Persönlichkeit

Kernaussage: Nur bescheidene Menschen können schwierige Probleme optimal lösen.

 

Was ist Intelligenz?

Die Intelligenz beschreibt die geistigen Fähigkeiten eines Menschen.

 

"Eine Arbeitsdefinition [von Intelligenz], akzeptiert von 52 bekannten Intelligenzforschern im Jahr 1994, anlässlich einer Umfrage unter 131 führenden Intelligenzforschern ('Mainstream science on intelligence' December, 13, 1994. Wall Street Journal, p. A18), lautet folgendermassen:
A very general mental capability that, among other things, involves the ability to reason, plan, solve problems, think abstractly, comprehend complex ideas, learn quickly and learn from experience. ... [Eine sehr allgemeine geistige Fähigkeit, die unter anderem die Fähigkeit umfasst, zu denken, zu planen, Probleme zu lösen, abstrakt zu denken, komplexe Ideen zu erfassen, schnell zu lernen und aus Erfahrungen zu lernen.]

Da ist viel Inhalt drin: Denken, Planen, Problemlösen, Lernen, Verstehen." (Funke, J. (2021). Intelligenz: Die psychologische Sicht. Heidelberger Jahrbücher Online: Bd, 6, 181-197, S. 182)

 

Eine Defintion benennt die Klasse (Art) des Objekts, zu dem das Wort gehört und

  • die wichtigsten Merkmale, die das Wort (den Begriff) von anderen Objekten unterscheiden (siehe auf Learn-Study-Work "Wie Wörter definieren"). Dabei muss es möglich sein, die genannten Merkmale nachzuprüfen.

 

Beispiel: Die Definition von "Schimmel"

Wenn ich definiere "Ein Schimmel ist ein weißes Pferd", dann kann geprüft werden, ob ein Pferd weiß. Wenn ich definiere "Ein Pferd erhält den Namen Schimmel von einem Gott", dann kann das nicht geprüft werden.

 

Bei einer Defintion von "Intelligenz", muss also klar sein, wie zwischen einer großen und einer geringen geistigen Fähigkeit unterschieden werden kann.

 

"Der Intelligenztest ist wohl eines der erfolgreichsten Produkte auf dem Markt
verkäuflicher Psycho-Waren. ... Dessen ungeachtet darf die Frage gestellt werden, ob (und wenn ja wie) psychische Merkmale wie z. B. das Konstrukt 'Intelligenz' gemessen werden können ... Die Kritik an den vorliegenden Messverfahren macht sich an folgenden Punkten fest: (a) Es handelt sich oft um Rätselfragen; (b) alle relevanten Informationen stehen auf einem Silbertablett zur Verfügung; (c) es gibt nur eine einzige richtige Lösung; (d) die Aufgaben besitzen keine zeitliche Dimension, man muss nicht mit den Konsequenzen von Entscheidungen weiterarbeiten; (e) erfasst wird vor allem analytische Intelligenz – es fehlt die Erfassung von sozialen und emotionalen Fähigkeiten, die unter dem Stichwort 'soziale' und 'emotionale' Intelligenz gefasst werden." (Funke, J. (2021). Intelligenz: Die psychologische Sicht. Heidelberger Jahrbücher Online: Bd, 6, 181-197, S. 188)

 

Meistens wird Intelligenz so definiert:

 

"Intelligenz ... ist die kognitive bzw. geistige Leistungsfähigkeit bei Menschen und zum Teil auch Tieren speziell im Problemlösen." (https://de.wikipedia.org/wiki/Intelligenz, 18.02.25)

 

Ein Mensch würde ich allerdings nur dann als intelligent bezeichnen, wenn er mehr als eine Art von Probleme lösen kann. Wenn eine Person z. B. sehr gut Schachspielen kann, heißt das nicht, dass sie auch andersgeartete Probleme lösen kann.

 

Was muss ein Mensch wissen, damit er schwierige Probleme lösen kann?

Ein Problem besteht, wenn ein Mensch mit einer Situation unzufrieden ist, aber nicht weiß, wie er eine gewünschte Zielsituation erreichen kann (siehe auf Learn-Study-Work "Wie Probleme lösen").

 

Einfache Problem sind diejenigen, bei denen wir nur alle notwendigen Informationen zusammentragen müssen, um eine Lösung zu finden. Schwierige Probleme sind komplex:

 

"Die fünf Eigenschaften eines komplexen Problems ...

(1) Komplexität (= ein zu verstehendes System besteht aus sehr vielen verschiedenen Variablen; Konsequenz: ... [Es] besteht die Notwendigkeit der Informationsreduzierung),
(2) Vernetztheit (= die beteiligten Variablen sind untereinander stark vernetzt; Konsequenz: Der Problemlöser muss die (wechselseitigen) Abhängigkeiten zwischen den beteiligten Variablen berücksichtigen, daher besteht die
Notwendigkeit zur Modellbildung und Informationsstrukturierung),
(3) Eigendynamik (= das fragliche System entwickelt sich auch ohne Zutun des Akteurs weiter; Konsequenz: Es steht nur begrenzt Zeit zum Nachdenken zur Verfügung, daher besteht die Notwendigkeit rascher Entscheidungen aufgrund oberflächlicher Informationsverarbeitung),
(4) Intransparenz (= die Informationen, die der Akteur für seine Entscheidungen braucht, sind nicht vollständig zugänglich, ... Konsequenz: ... [Die Problemlöserin muss kreativ werden]),
(5) Polytelie (= Vielzieligkeit; d. h. es ist nicht nur ein Kriterium zu optimieren, sondern es müssen viele, gelegentlich einander widersprechende Bedingungen beachtet werden; Konsequenz: ... es besteht die Notwendigkeit mehrdimensionaler Informationsbewertung)." (Funke, J. (2021). Intelligenz: Die psychologische Sicht. Heidelberger Jahrbücher Online: Bd, 6, 181-197, S. 190)

 

Jede Problemlösung baut auf Wissen auf, sei es Wissen aus eigner Erfahrung oder das Wissen anderer Menschen. In unser heutigen Welt ist es für einen Menschen unmöglich komplexe Probleme zu lösen, ohne dass er auf sein Bildung (das Wissen anderer wurde gelernt) zurückgreift. Das heißt, wenn wir ein komplexes Problem lösen wollen, müssen wir immer von anderen Menschen lernen.

 

Gibt es eine "dunkle Seite" der Intelligenz?

Der amerikansche Intelligenzforscher "Sternberg (2019, p. 8) sieht die dunkle Seite der Intelligenz dort: '... if a person’s creative, analytical, or practical skills are used for dark ends' [wenn die kreativen, analytischen oder praktischen Fähigkeiten einer Person für dunkle Zwecke eingesetzt werden]). ... Nach bisherigem Standard als 'intelligent' geltende Personen (also eigentlich: 'kluge Köpfe') richten die Menschheit zugrunde." (Funke, J. (2021). Intelligenz: Die psychologische Sicht. Heidelberger Jahrbücher Online: Bd, 6, 181-197, S. 189)

 

Der deutsche Philosoph Immanuel Kant beschrieb dies so:

 

"Verstand, Witz, Urteilskraft, und wie die Talente des Geistes sonst heißen mögen, oder Mut, Entschlossenheit, Beharrlichkeit im Vorsatze, als Eigenschaften des Temperaments, sind ohne Zweifel in mancher Absicht gut und wünschenswert; aber sie können auch äußerst böse und schädlich werden, wenn der Wille, der von diesen Naturgaben Gebrauch machen soll und dessen eigentümliche Beschaffenheit darum Charakter heißt, nicht gut ist." (Immanuel Kant (1785). Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Verlag J. F. Hartknoch, S. 1)

 

Wie bei vielen anderen Eigenschaften auch, ist der Übergang zwischen Intelligenz (Verstand) und Dummheit fließend: Es gibt böse Menschen, die sehr dumm sind und böse Menschen, die nicht so dumm sind. Aber meiner Meinung nach gibt es keine böse Menschen, die intelligent sind.

 

Es gibt böse Menschen, die in ihrem Leben Macht und Reichtum angesammelt haben, aber sie sind nie zufrieden. Ihren Reichtum sollten sie lieber in ihre Bildung und in die Bildung ihrer Mitmenschen investieren sollen.

 

Beispiel: In den Zeit von 508 bis 322 v. Chr. gabe es eine direkte Demokratie in Athen. Von den damaligen Gelehrten (Wissenschaftler/Philosophen) kann man heute noch etwas lernen.

 

Auch böse Menschen können Probleme lösen, aber sie lösen diese niemals optimal.

 

Welche Persönlichkeitseigenschaften sind notwendig, um schwierige Probleme optimal lösen zu können?

Es gibt zwei Persönlichkeitsmodelle: das "Big Five" Modell (fünf Persönlichkeitsmerkmaund das HEXACO Modell (die "Big-Five-Merkmale" plus das Merkmal "Ehrlichkeit/Bescheidenheit), siehe https://hexaco.org/scaledescriptions, 13.10.24).

 

"Das HEXACO Modell der Persönlichkeit bietet die Möglichkeit, Personen auf sechs basalen [grundlegenden] Persönlichkeitsfaktoren zu beschreiben: Ehrlichkeit-Bescheidenheit, Emotionalität, Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für Erfahrungen. Das Modell ... kann als hilfreiche Erweiterung des Fünf-Faktoren-Modells der Persönlichkeit ('Big Five') verstanden werden." (www.medizin.uni-tuebingen.de/de/das-klinikum/einrichtungen/kliniken/psychiatrie-und-psychotherapie/kinder-und-jugendpsychiatrie/forschung/hexaco, 29.07.24)

 

Wie kam man zu diesen beiden Persönlichkeitsmodellen?

 

"Hier hat man ... das so genannte lexikalische Verfahren angewandt, das ganz einfach darin besteht, dass man – von der »Alltagspsychologie« ausgehend – aus gängigen Lexika alle nur erdenklichen Vokabeln übernimmt, mit denen menschliche Eigenschaften beschrieben werden. Dabei handelt es sich
um viele Tausende von solchen Wörtern, die natürlich in ihrer Bedeutung auch hochgradig redundant sind. Man kam nun durch wiederholtes Zusammenfassen ... durch zunehmendes Beseitigen der Redundanzen auf immer weniger Grundmerkmale der Persönlichkeit, bis sich schließlich eine Klassizierung von drei bis fünf solcher Grundmerkmale als optimal herausstellte." (Roth, G. (2007). Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten: Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern. Klett-Cotta, S. 20, https://medien.ubitweb.de/pdfzentrale/978/360/898/Leseprobe_l_9783608980431.pdf, 20.02.25)

 

Wichtig für das Lösen schwieriger Probleme sind die Eigenschaften: Ehrlichkeit-Bescheidenheit, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für Erfahrungen.

 

Gewissenhaftigkeit: Wer ein schweres Problem nur oberflächlich analysiert, wir nie eine Lösung finden. (siehe auf Learn-Study-Work "Wie Situationen analysieren")

Offenheit für Erfahrungen: Wer kein tiefes Fachwissen und ein gutes Allgemeinwissen hat, wird keine Ähnlichkeiten und Analogien erkennen und wird deshalb nicht kreativ werden können (siehe auf Learn-Study-Work "Kreativ werden").

Verträglichkeit: Wer anderen Menschen nicht hilft, dem wird auch nicht geholfen werden.

Wer ehrlich zu sich selbst und bescheiden ist, der hat wahrscheinlich auch die drei Eigenschaften Gewissenhaftigkeit, Offenheit und Verträglichkeit.

 

Beispiel Einstein: "Es ist nicht so, dass ich so schlau bin, ich beschäftige mich einfach nur länger mit den Problemen."